Fachtagung zur Fortbildung und Weiterbildung in Psychotherapie, Psychiatrie und Psychosomatik.
Wir Menschen gelten als „vernunftbegabte Wesen“. In der Philosophie wird die Vernunft als das oberste Erkenntnisvermögen angesehen, die es uns ermöglicht, Wahrnehmungen zu ordnen, Bedeutungen und Zusammenhänge zu erkennen, Schlüsse zu ziehen, Prognosen für die Zukunft zu erstellen und unser Handeln darauf abzustimmen.
„Vernünftiges Handeln“ zeichnet sich dadurch aus, dass möglichst viele Einflussgrößen berücksichtigt, Alternativen abgewogen und deren Folgen antizipiert wurden. Die vernünftige Handlung ist unter Berücksichtigung all dessen die beste. Klingt doch eigentlich ziemlich vernünftig, das alles.
Aber: Warum handeln wir oft nicht nach diesen vernünftigen Prinzipien? Warum bekämpfen wir notwendige Maßnahmen des Gesundheitsschutzes? Warum zetteln wir immer wieder (selbst-)zerstörerische Kriege an? Warum ruinieren wir sehenden Auges unsere planetaren Lebensgrundlagen? Welche Rolle spielen Affekte bei unvernünftigen Entscheidungen? Und welche bei vernünftigen? Wie entstehen Verschwörungsmythen? Warum ziehen uns einfache Antworten scheinbar magisch an? Warum sind wir oft so unvernünftig?
Solche aktuell in einer globalen Dimension auftauchenden Fragen, sind uns Psychotherapeutinnen und -therapeuten schon lange sehr vertraut. Bisher allerdings eher in Bezug auf unsere Patientinnen und Patienten. Die scheinbaren „Irrationalitäten“ und deren oft sehr komplexen Gründe zu verstehen, die darin versteckte Psycho-Logik zu finden, ihnen einen Sinn zu geben und dadurch Raum für echte und nachhaltige Veränderungen zu schaffen, das ist unser täglich Brot. Es könnte sein, dass es vernünftig ist, diese Kompetenz auch außerhalb des Behandlungszimmers zur Anwendung zu bringen.
Als wir zusammen mit dem Wissenschaftlichen Beirat das Rahmenthema „Ende der Freiheit?“ für die Tagung 2023 festgelegt haben, wussten wir noch nicht, dass drei Wochen später in Europa ein brutaler Angriffskrieg beginnen würde, der die Freiheit einer Nation und ihrer Bürger auf das Äußerste bedroht. Wir hatten schon zuvor in der Pandemie gemeinsam erfahren, wie als selbstverständlich erlebte Freiheiten, z.B. des Bewegungsspielraums oder der eigenen Gesundheitsvorsorge, plötzlich in Frage gestellt oder zeitweise aufgehoben waren. weiter lesen »